Rechtsquellen können sich nur auf den ersten Blick widersprechen, da es die ureigene Aufgabe der Rechtsprechung ist, den Zustand der Widerspruchsfreiheit des Rechts herzustellen. Die Idee ist:
Der Gesetzgeber irrt nicht!
Im Falle einer Rechtskollision (auch Normenkollision genannt) gelten folgende Grundsätze:
- Ranghöheres Recht geht dem niedrigeren vor (Lex superior derogat legi inferiori)
- Bei ranggleichen Rechtsquellen geht die spezielle Regelung der generellen vor (Lex specialis derogat legi generali)
- die jüngere Rechtsquelle die ältere ablöst (Lex posterior derogat legi priori)
Über diese juristischen Auslegungsmethoden kann oftmals die Widerspruchsfreiheit als wesentliches Element der Rechtsgrundsätze im deutschen Recht hergestellt werden.
Dies Kenntnis dieser Auslegungsmethoden ist auch für die heilberufliche Praxis und die Rechtsprüfungen von großer Bedeutung. Denn das Gesundheitsrecht ist insbesondere vom Grundsatz des Vorrangs spezialrechtlicher Vorschriften geprägt.
Beispiele
Betäubungsmittelrecht
Das Prinzip des lex specialis derogat legi generali findet sich im Apothekenrecht sehr häufig! So gelten für Betäubungsmittelrezepte die Spezialvorschriften der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV), da die sie “höherrangig” gegenüber den allgemeinen Normen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) sind.
Rechtsprechung
Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit, welches die Verdrängung deutschen Rechts durch höherrangige EU-Rechtsprechung verdeutlicht, ist die für ausländische
Versandapotheken nicht mehr geltende Preisbindung der Arzneimittelpreisverordnung (vgl. Lektion zum Europarecht).
Normenpyramide
Das anzuwendende Recht kann sich aus mehreren Rechtsquellen speisen. Dies haben wir in Lektion 1.4 und 1.5 bereits gelernt. Die Vorschriften befinden sich dabei auf den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen der Normenpyramide und sollten sich zumeist ergänzen und ausfüllen. Die Hierarchie hilft somit bei der Bewertung, welche Regelung Vorrang hat.
Während das Europäische Recht und das Grundgesetz ganz oben in der Hierarchie stehen, bilden Gesetze, Verordnungen und Richtlinien die aufgrund von Ermächtigungsgrundlagen erlassen wurden, eine mittlere Fraktion. Auch die berufsrechtlichen Satzungen sind hier anzusiedeln.Ganz „unten“ finden sich Normen mit Empfehlungscharakter, wie z. B. Leitlinien.
Beispiel
Das Betäubungsmittelgesetz regelt das Generelle im Umgang mit BtM und ermächtigt über § 13 Abs. 3 BtMG das Gesundheitsministerium zum Erlass einer Rechtsverordnung für das Speziellere zur Verschreibung von BtM (BtMVV). Diese wiederum ermöglicht nach § 5 Abs. 12 BtMVV der Bundesärztekammer den Erlass einer rechtsverbindlichen Richtlinie (Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger).