Sprachliche Deutung
Eine erste Annäherung an die Frage, was „Recht“ überhaupt ist, findet sich über die Sprachentwicklung:
- indogermanischen Wurzeln (*hreĝ) = aufrichten, gerade richten
- ius (latein) = gegenüber den überirdischen Mächten reine, befriedete (menschliche) Lebensordnung im Gegensatz zum fas, der überirdischen Ordnung.
Während die indogermanischen Wurzeln des Rechts noch stark moralisch konnotiert waren, so ist das heutige Recht bereits näher an das lateinische ius angelehnt. Denn das ius wurde hergestellt durch die lex (Gesetz), die rituelles Handeln (sprachlich) beschrieb und später in Gesetze umgesetzt wurde.
Rechtsbegründungslehre
In der (Literatur-)Wissenschaft lassen sich unzählige Beispiele für den Versuch finden zu verstehen was Recht ist. Ein paar schöne Beispiele wollen wir uns kurz anschauen:
„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last –
greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst –
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –
Der Güter höchstes dürfen wir verteidgen
Gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land,
Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!“
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell
„In dem gemeinsamen Bewußtseyn des Volkes lebt das positive Recht, und
wir haben es daher auch Volksrecht zu nennen.“
Friedrich Carl v. Savigny (1779-1861)
„Recht ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse.“
Karl Marx (1818-1883)
„Es gibt kein an irgendeinem Gerechtigkeitsideal orientiertes richtiges
Recht. Das Sollen des Rechts bezieht sich nur auf die Verknüpfung von
Bedingung und Folge im Rechtssatz.“
Hans Kelsen (1881-1973)
Während man den früheren Deutungen des Rechtsbegriffs noch etwas Spiritualität und Idealismus entnehmen kann, so wird diese Betrachtung über die Zeit deutlich pragmatischer. Die Definition nach Kelsen (auch reine Rechtslehre genannt) bildet dabei die Grundlage der heute gültigen Deutung. Sie schaffte die Möglichkeit, Normen als abstrakt-generelle Sätze zu formulieren und sie auf individuell-konkrete Sachverhalte anzuwenden. Der Grundaufbau von abstrakt-generellen „Sollen-Sätzen“ ist das typische Verknüpfen von Bedingung und
Folge bzw. von Tatbestand und Rechtsfolge. Dies führte moderneren, pragmatischen und „moral-befreiten“ Definitionen wie:
Recht ist der Inbegriff aller durch organisatorischen Zwang
gesicherten Normen.“ Manfred Rehbinder
Warum nun dieser Ausflug?
Diese Einleitung ist wichtig, um verstehen, dass Recht nicht zwingend gerecht geschweige denn (individuell empfunden) moralisch sein muss. Diesen Anspruch erhebt das Recht nicht. Vielmehr geht es um Normen, die ein Verhalten (das Sollen) vorschreiben, und im Falle eines Verstoßes eine Sanktion vorsehen. Dies gewährleistet Verlässlichkeit, Stetigkeitund Orientierungssicherheit in einer Gesellschaft.
Insbesondere Gesundheitsberufe, die sich mit dem Recht befassen, neigen dazu Vorschriften und Regelungen inhaltlich zu hinterfragen. Dies ist in einer Demokratie wichtig und richtig, aber in Bezug auf eine Prüfungsvorbereitung oder Berufsausübung wenig zielführend. Wer mit einer Norm nicht einverstanden ist, der sollte sich (berufs-)politisch engagieren, um sie ggf. ändern zu können. Denn die Vorschrift wurde im Rahmen eines demokratischen Prozesses geschaffen und folgt damit (im Idealbild) der „Kollektivmoral“ der durch den Gesetzgeber repräsentierten Gesellschaft. Bis dahin ist eine Norm eine Norm, die allenfalls auszulegen ist (dazu später mehr), aber mittels einer„Individualmoral“ nicht zu hinterfragen ist.