Kursinhalt
Einleitung
Ein kurzer Einstieg
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Grundzüge des Leistungsrechts in der GKV
Wer hat worauf Anspruch? Wer darf welche Leistung erbringen? Welche Grundsätze gelten für die Leistungserbringung?
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Arzneimittel in der stationären Versorgung
Arzneimittel spielen in medizinischer Hinsicht in der stationären Versorgung eine ebenso wichtige Rolle wie im ambulanten Bereich. Doch das pauschalierte System der Krankenhausvergütung führt dazu, dass dies in Bezug auf die Abrechnung mit Ausnahme sehr teurer Arzneimittel weniger bedeutsam sind. Um die Logik der Zusatzentgelte hierfür zu verstehen, gewährt dieses Kapitel einen Einblick in das Gesamtkonstrukt der Krankenhausvergütung.
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Arzneimittel in der ambulant-ärztlichen Versorgung
In diesem Kapitel geht es überwiegend darum, wie das ärztliche Verordnungsverhalten systemseitig beeinflusst wird. Denn "Verursacher" der Kosten bleibt der Arzt in jedem Fall.
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Sozialrechtliche Vergütungs- und Erstattungssysteme für Arzneimittel
Lerneinheit

Überblick

Seit Inkrafttreten des AMNOG am 01.01.2011 ist der GKV-SV explizit mit der Aufgabe betraut auch die wirtschaftliche Versorgung mit patentgeschützten Arzneimitteln sicherzustellen. Die Preise neuer Präparate sollen sich letztlich am Zusatznutzen im Vergleich zur Standardtherapie, der sog. zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT), orientieren und nicht an den Vorstellungen der pharmazeutischen Unternehmen. Es gilt das Prinzip „Geld folgt Leistung„.

Zu diesem Zweck verpflichtet der Gesetzgeber seither den pU, sein neues Arzneimittel nach der Markteinführung einer frühen (Zusatz-) Nutzenbewertung nach § 35a SGB V zu unterziehen. Auf der Grundlage des ermittelten therapeutisch-medizinischen Zusatznutzens finden die Preisverhandlungen zum Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V zwischen GKV-SV und pU statt. Als Basis für die Preisfindung dienen neben der Nutzenbewertung durch den G-BA auch das internationale Preisniveau sowie die Kosten vergleichbarer Arzneimittel. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt die freie Festlegung des Herstellerabgabepreises (HAP) durch den pU erhalten. Anschließend wird allerdings der verhandelte Erstattungsbetrag der „neue“ HAP.

Ablauf der Nutzenbewertung

Seit Einführung des AMNOG sind pU verpflichtet bei Markteinführung gem. § 35a SGB V ein Dossier zur Nutzenbewertung für neue Arzneimittel zu erstellen. Dieses Dossier enthält eine systematische Übersicht zum medizinischen Nutzen und Zusatznutzen des neuen Wirkstoffs im Vergleich zur vom G-BA bestimmten zVT. Hierbei stellt die zVT ein im gleichen Indikationsgebiet zugelassenes Arzneimittel dar, welches als geeignete Referenztherapie gilt und dem für die GKV relevanten Kriterium des Wirtschaftlichkeitsgebots des SGB V entspricht.

Rolle des GBA

Der wesentliche Player im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ist der G-BA (vgl. Lektion „Gemeinsamer Bundesausschuss„). Die Hauptaufgabe des G-BA im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ist die Bewertung des behaupteten Zusatznutzens durch den pU. Für die wissenschaftliche Bewertung des Dossiers kann der G-BA Dritte – in der Praxis überwiegend das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (vgl. Lektion „IQWIG„) – beauftragen (3 Monate Zeit).

Weiterhin leitet der G-BA das Stellungnameverfahren zwischen pU, Verbänden und Sachverständigen. Seine Schnittstellenfunktion wird durch die beratende Funktion i.S.v. § 35a Abs. 7 SGB V nochmals deutlich. Mit diesem Angebot kann der pU Informationen über die vorzulegenden Unterlagen und eine aus Sicht des G-BA sinnvolle Vergleichstherapie erhalten.

Über den Zusatznutzen wird mit Veröffentlichung des G-BA Beschlusses offiziell entschieden (6spätestens 6 Monate nach Dossier-Einreichung).

Was ist Zusatznutzen?

Gemäß Arzneimittelnutzenverordnung (AM-Nutzen-V) gilt als Nutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie „… der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität“ (AM-Nutzen-V § 2).

Der Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels ist ein Nutzen, „… der quantitativ oder qualitativ höher ist als der Nutzen, den eine zweckmäßige Vergleichstherapie aufweise“ (AM-Nutzen-V § 2). Im Ergebnis kann das Ausmaß des Zusatznutzens gem. § 5 AM-Nutzen-V in folgende Kategorien unterteilt werden:

  • Erheblicher Zusatznutzen (Bewertung nach Schulnoten: 1)
    Nachhaltige und bisher nicht erreichte große Verbesserung des therapierelevanten Nutzens: Heilung der Erkrankung, erhebliche Verlängerung der Überlebensdauer, eine langfristige Freiheit von schwerwiegenden Symptomen oder die weitgehende Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen.
  • Beträchtlicher Zusatznutzen (Bewertung: 2)
    Bisher nicht erreichte deutliche Verbesserung des therapierelevanten Nutzens: Abschwächung schwerwiegender Symptome, eine moderate Verlängerung der Lebensdauer, eine für die Patienten spürbare Linderung der Erkrankung, eine relevante Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen oder eine bedeutsame Vermeidung anderer Nebenwirkungen.
  • Geringer Zusatznutzen (Bewertung: 3)
    Bisher nicht erreichte moderate und nicht nur geringfügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens: Verringerung von nicht schwerwiegenden Symptomen der Erkrankung oder eine relevante Vermeidung von Nebenwirkungen.
  • Nicht quantifizierbarer Zusatznutzen (Bewertung: 4)
    Zusatznutzen liegt vor, ist aber nicht quantifizierbar: bisherige Datenlage unzureichend.
  • Kein Zusatznutzen (Bewertung: 5)
    Der Nutzen ist geringer als jener der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Bewertung: 6).

Erstattungsbetragsverhandlung

Auf Grundlage dieser Nutzenbewertung treten der pU und die Kostenträger innerhalb von zwölf Monaten nach Markteinführung in Preisverhandlungen ein. Bei fehlendem Zusatznutzen liegt die Preisobergrenze bei dem Festbetrag der Vergleichstherapie, d.h. die Kosten des neuen Arzneimittels dürfen die der Vergleichstherapie nicht überschreiten. Umgekehrt gilt, dass ein hoher Zusatznutzen die beste Verhandlungsposition begründet.

Falls es absehbar zu keinem für den pU akzeptablen Erstattungsbetrag kommt, hat dieser die Möglichkeit, das neue Arzneimittel aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt zu nehmen (sog. Opt Out-Verfahren). Im Falle sehr niedriger zVT-Kosten ist ein Opt Out eine plausible ökonomische Entscheidung, denn: liegt der zu erwartende Erstattungsbetrag unter der preislich akzeptablen Schwelle des pU, könnten die Forschungs- und Entwicklungskosten des neuen Arzneimittels ggf. nicht eingefahren bzw. Produktion und Vertrieb unwirtschaftlich werden. Zusätzlich ergibt sich ein wirtschaftlicher Vorteil für den Hersteller: Da kein Erstattungsbetrag in der Lauer-Taxe sichtbar wird, kann der deutsche Arzneimittelpreis auch nicht als Referenzpreis für europäische Länder herangezogen werden (zu den praktischen Versorgungsimplikationen vgl. auch Lektion „Importarzneimittel„).

Wenn nichts mehr geht

Für den Fall, dass im Verlauf der Preisverhandlungen keine Einigung erzielt werden kann, entscheidet eine Schiedsstelle über den Preis. Die Schiedsstelle nach § 130b SGB V wird angerufen sofern sich pU und GKV-SV auf Grundlage des G-BA Beschlusses nicht im Rahmen der Verhandlungen auf einen Preis für das neue Arzneimittel einigen können und der pU keine Marktrücknahme (sog. Opt Out) veranlasst hat. Es handelt sich um ein durch beide Parteien einvernehmlich besetztes Gremium mit unparteiischen Mitgliedern, je zwei Vertretern von GKV und Industrie sowie einem unparteiischen Vorsitzenden .

Die Kompetenzen der Schiedsstelle beschränken sich auf die monetäre Bewertung des (nicht-) vorhandenen Zusatznutzens. Eine Korrektur oder Kritik des G-BA Beschlusses ist an dieser Stelle nicht mehr vorgesehen und wäre lediglich durch eine Anfechtungsklage erreichbar. Mögliche Ansatzpunkte für einen Schiedsspruch sind neben den Aspekten der Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit, die Preise in anderen Ländern und die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Therapien.