Kursinhalt
Einleitung
Ein kurzer Einstieg
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Grundzüge des Leistungsrechts in der GKV
Wer hat worauf Anspruch? Wer darf welche Leistung erbringen? Welche Grundsätze gelten für die Leistungserbringung?
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Arzneimittel in der stationären Versorgung
Arzneimittel spielen in medizinischer Hinsicht in der stationären Versorgung eine ebenso wichtige Rolle wie im ambulanten Bereich. Doch das pauschalierte System der Krankenhausvergütung führt dazu, dass dies in Bezug auf die Abrechnung mit Ausnahme sehr teurer Arzneimittel weniger bedeutsam sind. Um die Logik der Zusatzentgelte hierfür zu verstehen, gewährt dieses Kapitel einen Einblick in das Gesamtkonstrukt der Krankenhausvergütung.
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Arzneimittel in der ambulant-ärztlichen Versorgung
In diesem Kapitel geht es überwiegend darum, wie das ärztliche Verordnungsverhalten systemseitig beeinflusst wird. Denn "Verursacher" der Kosten bleibt der Arzt in jedem Fall.
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Sozialrechtliche Vergütungs- und Erstattungssysteme für Arzneimittel
Lerneinheit

Definition

Wir können uns zunächst über die Übersetzung des englischen Begriffs nähern. „Off“ lässt sich mit „entfernt oder weg“ übersetzen und „label“ bedeutet übersetzt etwa so viel wie „Etikett“ oder „Beschriftung“. Offlabel bedeutet somit so viel wie „anders als auf dem Etikett ausgewiesen“. Über diese Übersetzung bekommen wir einen schönen Bogen zum Arzneimittelrecht gespannt, denn um ein Arzneimittel in Deutschland auf den Markt bringen zu können, bedarf es gemäß § 21 AMG einer Zulassung. Ein Hersteller muss bei einem entsprechenden Zulassungsantrag genau definieren, für welche Anwendungsgebiete, in welcher Dosierung und Anwendungsdauer oder für welches Patientenkollektiv, etc. er eine solche begehrt. Mit der Arzneimittelzulassung erhält ein Arzneimittel somit sein „Etikett“. Wird dieses nun in der Versorgung abweichend vom Zulassungsinhalt eingesetzt, sind wir beim offlabel-use oder – wie wir es in deutscher Sprache nennen – einen zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz im Gegensatz zu einem bestimmungsgemäßen Gebrauch.

Damit ist dann auch der wesentliche Unterschied zum sog. compassionate-use bereits beschrieben. Denn um einen solchen handelt es sich, wenn noch keine Zulassung existiert, egal für welche Indikation. Es wurde im Prinzip noch kein „Etikett“ vergeben, von welchem man abweichen könnte, um im Wort-Bild zu bleiben. Kostenübernahmeanträge von Leistungserbringern mit der Überschrift „offlabel-use“ für nicht zugelassene Arzneimittel wären damit sachlich nicht korrekt.

Besonderheiten des zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes

Hierbei kommt es im Wesentlichen darauf an, aus wessen Perspektive man auf das Thema schaut. Zunächst einmal hat der Arzt im Falle der Therapie mit einem Arzneimittel im offlabel-use besondere Aufklärungspflichten zu erfüllen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Behandlungs- als auch aus dem Arzneimittelrecht. Denn wird ein Arzneimittel nicht bestimmungsgemäß eingesetzt – was ein Arzt im Rahmen seiner Therapiefreiheit durchaus darf -, so entfällt die Herstellerhaftung gemäß § 84 AMG. Im Schadensfall haftet der pharmazeutische Unternehmer somit regelmäßig nicht. Darüber muss der Arzt aufklären. Auch sollte der Patient wissen, warum eine solche Therapie nun erforderlich ist, warum also für seine Beschwerden zugelassene Therapien nicht in Frage kommen oder nicht zur Verfügung stehen.

Damit wird bereits klar, dass ein offlabel-use grundsätzlich eine „ultima ratio“ sein sollte. Denn Therapieerfolg und Sicherheit sind unsicher bzw. noch weniger wahrscheinlich als bereits im Normalfall. Zudem haben wir eine regelmäßig eine Abweichung vom medizinischen Standard, worüber der Arzt ebenfalls aufklären muss. Behandlungs- und Arzneimittelrecht stellen allerdings immer auf den „Privatpatienten“ ab und weisen einen Sicherheitsfokus auf. Daneben existiert allerdings auch eine wesentliche sozialrechtliche Dimension.

GKV-Leistungspflicht im Einzelfall

Offlabel-Therapien sind grundsätzlich keine Kassenleistung. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB V haben Patienten Anspruch auf Leistungen deren Qualität und Wirksamkeit nachgewiesen ist. Dieser Nachweis wird grundsätzlich über die Arzneimittelzulassung erbracht, doch vorliegend wäre der Einsatz eben nicht von dieser gedeckt. Dennoch gelang es Bundesverfassungsgerichts mit dem Nikolaus-Beschluss vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR347/98) – also am Nikolaustag, daher der Name – eine wegweisende Entscheidung zu fällen. Hier wurde die Grundlage für eine spätere Anpassung des SGB V gelegt.

Der Gesetzgeber fügte als Reaktion auf den Beschluss den Abs. 1a in § 2 SGB V ein:

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

Hieraus ergibt sich allerdings eine zwingende Genehmigungspflicht für den Einzelfall vor der Therapie. Das hat das Bundessozialgericht inzwischen auch für den stationären Sektor festgestellt. Werden Arzneimittel dort offlabel eingesetzt und dies nicht zuvor genehmigt, so erlischt der Vergütungsanspruch für den kompletten Behandlungsfall. Sollte es Ärzten im ambulanten Bereich an einer Genehmigung fehlen, so droht ein Rückforderungsanspruch über das Prüfverfahren gemäß § 106b SGB V (vgl. Kurs „Wirtschaftlichkeitsprüfung“).

Als Krankenkasse ist man in diesem Zusammenhang überwiegend auf die Expertise des Medizinischen Dienstes angewiesen, da insbesondere die Frage nach der Verfügbarkeit von möglichen Therapiealternativen stets aktuelle Kenntnis der Leitlinien sowie bereits durchgeführter Vortherapien voraussetzt. Basierend auf dem so entstandenen Gutachten zum Vorliegen eines medizinisch begründeten Einzelfalls fällt die Krankenkasse eine Leistungsentscheidung. Dies steht in diesem konkreten Fall dann im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot (vgl. Lektion „Wirtschaftlichkeitsgebot“).

Leistungspflicht in anderen Fällen

Neben der Einzelfallentscheidung existieren zwei weitere Konstellationen, wie eine offlabel-Behandlung zur Kassenleistung werden kann. Der Gesetzgeber hat dafür über § 35c SGB V die Grundlage geschaffen.

Zum einen kann gemäß § 30 der Arzneimittelrichtlinie des GBA eine solche Verordnung erfolgen, wenn sich das Arzneimittel für die in Rede stehende Anwendungsgebiet in Teil A der Anlage VI zur AM-RL findet (vgl. Lektion „Verordnungseinschränkungen“). Dort werden in der Regel Arzneimittel gelistet, bei denen ein offlabel-use von einer beauftragten Expertengruppe als sinnvoll bewertet wurde. Sodann greift auch die Haftung nach § 84 AMG.

Die zweite Möglichkeit ist eine Anwendung im Rahmen einer Studie, welche erst die notwendigen Daten liefern soll.