Lieferengpässe bei Arzneimitteln – die GKV als Sündenbock?

Derzeit vergeht kein Tag, ohne dass man über Lieferengpässe bei Arzneimitteln liest oder sogar davon betroffen ist. Der Schuldige steht dabei in den Apothekenmedien zumeist fest: die GKV. Zeit für eine andere Perspektive.

Lieferengpässe – GKV oder Politik sind tatverdächtig

Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind nicht schön; gerade, wenn man krank ist. Niemand möchte benötigte Arzneimittel „suchen“ müssen. Trotzdem scheint eine sachliche Analyse nicht jedermanns Sache. Denn während Herr Lauterbach von „Wir sind in dem Bereich der Ökonomisierung zu weit gegangen…“ spricht (mit „wir“ sollte er wohl die Politik meinen), so betreiben Teile der Apothekenmedien beim Thema Lieferengpässe leider einseitiges GKV-Bashing („…Quittung dafür, dass Krankenkassen unser System kaputtgespart haben.„).

Leere Regale im übertragenen Sinne häufen sich in deutschen Apotheken.

Vereinfachte Analyse

Vereinfachen wir die Sachlage etwas, so wird der Kostendruck als Triebfeder für die Drittlandproduktion der letzten Jahre gesehen. Dies wiederum hat die Lieferketten anfälliger gemacht, weshalb deren Rückbau ja auch die Lösung sein soll, richtig? Um die GKV in diesem Kontext zum Buhmann zu machen, wird der Kostendruck ebendieser ursächlich zugeschrieben (Stichwort: Ausschreibungen für Rabattverträge).

Treten wir jetzt aber mal auf die Bremse und einen Schritt zurück:

1

Krankenkassen sind Körperschaften des Öffentlichen Rechts und übernehmen grundsätzlich staatliche Aufgaben. Dass die Aufgaben korrekt wahrgenommen werden, überprüft eine staatliche Intuition (BAS), welche wiederum u. a. dem BMG unterstellt ist. Aus diesem Systemwissen lässt sich ableiten, dass eine politisch ungewollte Überspannung der vorhandenen Einsparinstrumente für Krankenkassen kaum (beanstandungsfrei) möglich ist! Umgekehrt ist eine Krankenkasse allerdings dazu verpflichtet alles, was zum Schutz der Gelder der Solidargemeinschaft sinnvoll und rechtlich zulässig ist, zu unternehmen (Stichworte: Wirtschaftlichkeitsgebot und Vorstandshaftung). Dies führt mich sodann zum 2. Punkt.

2

Nicht die GKV kann Preisdruck ausüben. Die (An-)Bieter setzen sich in den Ausschreibungen gegenseitig unter Druck. Eine Krankenkasse kann lediglich die günstigsten unter den abgegebenen Angeboten wählen. Die Verantwortung der Pharmaindustrie für die Lieferengpässe bei Arzneimitteln wird durch ein Gedankenexpermiment besonders deutlich:
 
Überspitzt man die Heldengeschichte Deutschlands als die „Apotheke der Welt“, so waren es ja angeblich die Rabattverträge, die den Heldentot verursacht haben. Jetzt tun wir also so, als ob wir es zum ersten Mal mit diesen Ausschreibungen zu tun hätten und alle noch in D oder zumindest in der EU produzieren würden.

a)

Kein PU kommt auf die Idee in Drittländern produzieren zu lassen oder sie lehnen es unisono ab. Im Ergebnis wären alle bei der Kasse eingehenden Angebote auf einem höheren Preisniveau. Was kann/muss die Kasse tun? Natürlich muss sie im Rahmen der Angebote und des Wirtschaftlichkeitsgebotes auswählen! –> D-Produktion „gewinnt“.

b)

Ein PU kommt auf die ökonomisch „clevere“ Idee seine Kosten zu reduzieren, indem er seine Produktion auslagert. Teile dieser Einsparungen nutzt er, um in der Ausschreibung „Kampfpreise“ anzubieten. Was kann/muss die Kasse tun? Natürlich muss sie im Rahmen der Angebote und des Wirtschaftlichkeitsgebotes auswählen! D-Produktion „verliert“.

Variante b) hat sich in der Vergangenheit dann einfach mehrfach wiederholt, so dass irgendwann alle in Asien produziert haben, um wettbewerbsfähig zu sein. Der Punkt ist aber, dass Krankenkassen die PU’s dieser Welt nicht dazu gezwungen haben und noch wichtiger, dass Krankenkassen keine andere Wahl hätten, als höhere Preise zu bezahlen, wenn die Angebote kollektiv höher wären, weil in D produziert.

Ergebnis

Herr Lauterbach liegt da mit seiner Einschätzung bzgl. der Verantwortung für die inzwischen umfänglichen Lieferengpässe bei Arzneimitteln im Ergebnis somit näher an der Wahrheit; m. E. gänzlich falsch hingegen hier die Apotheker. Denn solange der Gesetzgeber lediglich regelt, dass Ausschreibungen möglich sind, werden diese i. V. m. dem Wirtschaftlichkeitsgebot praktisch auch zwingend, wo möglich und so günstig, wie möglich. So jedenfalls würde es eine Rechtsaufsicht der Krankenkasse bewerten müssen. Zudem hat der Gesetzgeber den Druck auf die Pharmaindustrie mit gesetzlichen Zwangsrabatten in der Vergangenheit weiter erhöht. Die Apotheker hingegen fallen scheinbar herein auf einen politisch gerne in Kauf genommenen „Nebeneffekt“ des Subsidiaritätsprinzips. Man überträgt unangenehme Themen/Aufgaben als Gesetzgeber auf einen Dritten (hier: die GKV; oftmals auch der GBA) und wenn das Ergebnis nicht gefällt, dann knüpfen alle den „Erfüllungsgehilfen“ auf und nicht den eigentlich Verantwortlichen. GKV-Bashing hilft somit niemanden und ist grundfalsch. Leistungserbringer täten gut daran das zu verstehen. Anderenfalls wird der Blick auf die Hauptverursacher in diesem Fall verstellt.

Die Politik hat gebilligt und forciert, die Pharmaindustrie hat wettbewerbsorientiert agiert. Wenn sich die Beteiligten hier entscheiden einen Market of lemons zu erzeugen – es ist „entscheiden“, weil sie ja wissen, dass die GKV die Günstigsten bezuschlagen muss, „günstig“ aber ein Relativmaß ist und Lieferzusagen kaum überprüfbar sind – und übliche Marktmechanismen/Herausforderungen des Wettbewerbs das Problem weiter verschärfen, ist das das, was in Märkten manchmal passiert. Aber es ist fast absurd in diesem Zusammenhang mit dem Finger auf die GKV zu zeigen, die lediglich die Vorgaben umsetzt.

Wer dann sagt, dass die Politik vor der Macht der GKV einknickt und nur deren Agenda umsetzt, der sei erneut auf das Prinzip der Körperschaften hingewiesen. Der Kellner ist nicht der Koch. Einzig die Politik muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie aus Angst vor Verlust von Wählerstimmen – die logische Alternative zu den Sparmaßnahmen wäre die Einnahmeerhöhung durch höhere Beiträge oder Steuerzuschüsse gewesen, was selten gut ankommt- den Bogen nicht tatsächlich überspannt hat.

Lösungsidee

Wo kann eine Lösung liegen? Eine Kartellbildung der Pharmaindustrie wäre wohl eine schlechte Idee. Aber vielleicht sollten wir hier einfach denken. Wenn es der Gesetzgeber ernst nimmt mit dem Thema, so wäre es doch denkbar, dass er den Krankenkassen in das „Pflichtenheft“ zu den 130a Abs. 8 SGB V Verträgen herein schreibt, dass lediglich Anbieter bezuschlagt werden dürfen, die die zugesagten Liefermengen zu einer relevanten Quote innerhalb der EU produzieren müssen. Und mit produzieren meine ich die die komplette Herstellungskette. Naturgemäß würde das die Kosten der GKV nochmals treiben, doch hier muss ein Tod gestorben werden, und das sollte nicht der der Patienten sein.

Vermutlich sind auch viele andere Lösungen denkbar. Der Gesetzgeber bevorzugt ja zumeist eine gewisse Komplexität. Doch fest steht: wo ein politischer Wille, da ein Weg – wo nicht, da nicht.

“GKV-Bashing kommt scheinbar zunehmend in Mode. Egal an welcher Stelle es in unserem Gesundheitswesen „knirscht“, „Schuld“ ist aus Sicht der Leistungserbringer zumeist die gesetzliche Krankenversicherung. Das greift allerdings viel zu kurz und verkennt die Tatsache, dass Krankenkassen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts lediglich staatliche Aufgaben übernehmen und im Rahmen der Rechtsaufsicht durch den Staat ausüben. Wer also auf die GKV „zeigt“, dem empfehle ich mal einen Blick in den Kurs „Allgemeines Recht für Gesundheitsberufe“ und „Gesundheitsverwaltung für Gesundheitsberufe“ auf dieser Website.”
Dr. Dennis A. Effertz
Founder

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